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KI-Rekonstruktion von Fiete Daniel in den 1980er Jahren

Fiete Daniel - Chronist einer verlorenen Welt

Dort stand er also – jener rätselhafte Karton mit den letzten, bislang unbekannten Aufzeichnungen des legendären Eckernförder Fischers Fiete Daniel (1900–1989). Einsam und vergessen auf dem obersten Brett eines alten Holzregals, ganz hinten in einem ansonsten völlig leeren Keller irgendwo in der Nähe vom Dang. Dass dieser Karton als einziger Gegenstand dort verblieben war, hatte einen traurigen Grund: Die Sturmflut vom 20.-21. Oktober 2023 hatte alles andere, was sich im Keller befand, zerstört. Das Wasser war bis knapp unter jenes Regalbrett gestiegen – und Fietes schriftlicher Nachlass war, wie durch ein Wunder, unversehrt geblieben. Allerdings nicht ganz: Eine Etage tiefer sollen sich noch Magnetbänder mit Tonaufnahmen von Fiete befunden haben – sie fielen dem Sturmtief „Viktor“ dann doch zum Opfer.

von Martin Hüdepohl

Wie kam es dazu?

DerAutor bei einem Vortrag über Fiete

Kurz zuvor hatte ich noch geglaubt, meine Beschäftigung mit meinem Urgroßonkel Fiete nähere sich allmählich dem Ende. Nach 1.072 transkribierten Seiten aus dem Archiv der Heimatgemeinschaft, zahlreichen Vorträgen und mittlerweile vier Artikeln in den Jahrbüchern schien meine Aufgabe erfüllt! Doch da hatte ich Fiete – und seine unermüdliche Schreibfreude – gewaltig unterschätzt, wie sich bald zeigen sollte.

Nach einem Vortragsabend über Fiete Daniel, den ich gemeinsam mit Dr. Rüdiger Voss hielt, trat nämlich plötzlich ein Nachfahre Fietes an mich heran. Er drückte mir einen Schnellhefter in die Hand, der noch viele weitere Fiete-Manuskripte enthielt – und raunte mir zu, dass dort, wo diese herkämen, es noch viel mehr gebe. Gemeint war damit eben jener einsame Pappkarton.

Mit bemerkenswertem Weitblick hatte Fiete nämlich dafür gesorgt, dass sein schriftlicher Nachlass nach seinem Tod in Streubesitz überging – offenbar in der Hoffnung, so die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass seine Texte irgendwann von jemandem entdeckt und wieder in Erinnerung gerufen würden. Ein Plan, der aufgegangen ist – wofür der vorliegende Artikel der beste Beweis ist! Die von mir bereits erfassten Unterlagen der Heimatgemeinschaft waren also nur Teile eines weitaus größeren Puzzles!

Was war in dem Karton?

Der Karton entpuppte sich als wahrer Schatz. Er war nicht nur bis zum Rand gefüllt mit weiteren jener Schnellhefter voller Manuskripte, sondern enthielt auch zahlreiche zusätzliche Dokumente der Familie Daniel. Darunter befanden sich viele Zeichnungen der Eckernförder Schwertquase – jenes großen Schleppnetzbootes, an dem Fiete in den Jahren 1918 bis 1920 als Miteigner beteiligt war – sowie seines späteren Fischkutters Ecke 34, mit dem er bis in die 1960er Jahre hinausfuhr.

Der Inhalt des Kartons

Zudem fanden sich vielfältige Familiendokumente, etwa Geburts- und Heiratsurkunden, die bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückreichen. Das älteste Stück ist ein Impfnachweis aus dem Jahr 1811, verfasst in dänischer Sprache – denn Dänisch war in Eckernförde bis nach dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864 noch Amtssprache. Auch zahlreiche Zeitungsausschnitte sowie vieles Weitere, das Fiete für aufbewahrenswert hielt, waren darin enthalten. Unter den Fundstücken befanden sich zudem Texte seines Sohnes Wilhelm Daniel: Schon Ende der 1990er Jahre verfolgte dieser ein ähnliches Projekt wie ich heute: Mit dem Fotokopierer stellte er kleine Heftchen mit Texten von Fiete zusammen, um sie im Familien- und Freundeskreis zu verbreiten. Er leitete sie mit folgenden Worten ein:

As he mi an sien Dodesdag, den 28. Mai 1989, eeniges vun sien Schrievere övergeeven hett, weer dat med de Beed forbunnen, dat eenmal tosaamen to stellen un för de Familie as Erinnerung uttogeeven. Dat will ick hermed gern doon.

Ein besonderer Fund war Fietes originale Seekarte der Kieler Bucht aus den 1950er Jahren, über und über versehen mit handschriftlichen Eintragungen – endlich gewann ich eine räumliche Vorstellung von Fietes Wirkstätten auf der Ostsee, die bisher nur in Worten beschrieben waren.

Ausschnitt seiner Seekarte

Bei der Durchsicht der Manuskripte war ich anfangs allerdings enttäuscht – denn vieles davon schienen einfach nur Kladden oder Rohfassungen zu sein für die 1.072 Seiten, die ich bereits erfasst hatte! Zahlreiche Texte waren auch in doppelter oder dreifacher Ausführung vorhanden, dazwischen Unmengen loser, nicht zuzuordnender Blätter – das Ganze war ohnehin sehr schlecht sortiert. War darunter überhaupt etwas Neues und Brauchbares?

Es war. Bei einer zweiten, sorgfältigeren Sichtung stellte sich heraus, dass rund zwei Drittel der etwa 800 Seiten bislang unbekannte Texte enthielten. Was aber tun damit?

Projekt Fiete Daniel

Ich besprach mich mit Katharina Mahrt vom Museum Alte Fischräucherei e. V., und wir waren uns schnell einig: Das Material lediglich zu transkribieren, um daraus ein, zwei Artikel zu machen und einen Vortrag darüber zu halten – nur, damit es danach wieder in der Versenkung verschwindet – wäre eindeutig zu wenig und dem Aufwand nicht angemessen.

So kam uns die Idee, alles, was es von und über Fiete gibt, ins Netz zu stellen. Aber nicht einfach irgendwie – sondern ordentlich transkribiert, lektoriert, thematisch sortiert und ansprechend präsentiert. Mit Volltextsuche, benutzerfreundlich und im vertrauten Wikipedia-Stil. Öffentlich zugänglich über die Homepage des Räuchereimuseums, für alle, die neugierig sind: Historiker, Fischereibiologen, Heimatforscher, Lokalpatrioten, Liebhaber plattdeutscher Geschichten – oder einfach Eckernförder, die schon immer wissen wollten, welchen Ökelnamen ihr Urgroßvater hatte.

Katharina Mahrt hatte dann auch gleich die Idee, für das Vorhaben einen Förderantrag bei der Landesarbeitsgemeinschaft AktivRegion Eckernförder Bucht zu stellen – die sich tatsächlich zu einer großzügigen Unterstützung bereit erklärte. Das verschaffte mir die nötige Zeit, und mir waren keine Zügel mehr angelegt. Meine diversen KI-Tools und ich machten uns sofort ans Werk, legten uns ins Zeug, und jetzt steht sie da, in voller Pracht im Internet: FieteDaniel.de – Archiv und Anlaufstelle für alle Fiete-Interessierten.

Im weiteren Verlauf dieses Artikels soll es darum gehen, welche Entdeckungen sich auf der Website machen lassen. Doch bevor ich munter darauf loserzähle, möchte ich zunächst ein Bild davon zeichnen, was für ein Mensch Fiete Daniel eigentlich war – und was ihn dazu bewogen hat, tausende von Seiten niederzuschreiben. Das scheint mir unerlässlich, um den Leserinnen und Lesern ein Gefühl dafür zu geben, was sie auf der Website erwartet.

Fietes Motivation

Anna und Fiete Daniel

Fiete Daniel war eine ungewöhnliche Persönlichkeit. Während wir modernen Menschen – mich eingeschlossen – stark auf das eigene Ich fokussiert sind, uns als Individuen begreifen und unsere Gefühle für äußerst bedeutsam halten, war Fiete das genaue Gegenteil: Auf seinen vielen tausend handgeschriebenen Seiten ging es so gut wie nie um ihn selbst, sondern ausschließlich um das alte Eckernförde und die Fischerei. Eigene Bedürfnisse, Gefühle oder Befindlichkeiten hielt er für nicht dokumentierwürdig.

Das ist einerseits bedauerlich – gerade beim Lesen seiner Tagebücher hätte ich es als große Bereicherung empfunden, wenn hin und wieder auch Persönliches oder Zwischenmenschliches aufgeblitzt wäre. Andererseits: Gut den Leser zu unterhalten, war schlicht nicht sein Anliegen. Fiete war kein Schriftsteller – er war Chronist, ein Biograf des alten Eckernfördes.

Warum aber wollte er all das so präzise dokumentieren? Was trieb ihn an?

Fietes Kinderzeit am Eckernförder Strand war glücklich, und der er sehnte sich sein Leben lang danach zurück. Auch seine frühen Erwachsenenjahre verliefen außerordentlich glückhaft: Er musste nicht in den Krieg und verdiente mit gerade einmal achtzehn Jahren bereits das volle Gehalt eines Fischers. Die Fischerei befand sich Anfang der 1920er auf ihrem Höhepunkt – der Beruf des Fischers war prestigeträchtig, und die Gemeinschaft der Eckernförder Fischer war einzigartig: Mit vierzig Räuchereien und hunderten Fischerbooten war Eckernförde damals der bedeutendste Fischereistandort nicht nur der gesamten Ostsee, sondern auch ganz Deutschlands. Nirgendwo sonst gab es so viele selbstständige Fischer auf so engem Raum; sie verstanden sich als freie Menschen, und Fiete war stolz, Teil davon zu sein.

Nun stelle man sich aber vor, wie es für jemanden gewesen sein muss, der sich so sehr mit dem Platz, auf den ihn das Schicksal gestellt hat, identifiziert – wenn er plötzlich erkennt, dass sich diese Heimat aufzulösen beginnt und sein geliebter Berufsstand dem Untergang geweiht ist: In Fietes letzten Jahren war von der einst ruhmreichen Eckernförder Fischerei gerade noch ein Schatten geblieben – zwei Räuchereien, eine Handvoll Kutter. Einst einer unter vielen, fand Fiete sich nun als der letzte seines Standes wieder.

Diesen Verlust des Eigenen empfand er als Zumutung – und er war nicht gewillt, ihn tatenlos hinzunehmen. Also beschloss er, sich dem Untergang entgegenzustemmen – mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Und das waren vor allem Stift und Papier. Unermüdlich notierte er alles, was ihm am alten Eckernförde gut und bewahrenswert erschien – in der Hoffnung, künftige Generationen mögen es lesen und sich zu Herzen nehmen. In seinem Gedicht „Eckernför, mien Leeven“, das er kurz vor seinem Tod verfasste und das als ein abschließendes Statement zu seinem schriftlichen Werk zu verstehen ist, bringt er dies auf den Punkt:

Villicht lest mol een mien Schreverie
Vun old Tiden, vun de blaue För
Vun min Kinnertied un vun de Fischerie
Denkt dann daran, wie scheun dat weer
Bi uns in't leeve Eckernför

Er verleiht darin sogar der Hoffnung Ausdruck, künftige Generationen mögen den damaligen Zustand wieder herstellen:

Kinner dreiht rüm dat Ror, noch is Tid.

So sind also seine Texte zu verstehen: als Zeitkapseln. Kleine Konservate, erschaffen mit dem Ziel, ein Stück des alten Eckernfördes einzufangen und für die Nachwelt zu bewahren. Sei es durch die präzisen Beschreibungen historischer Fangmethoden und Fischereifahrzeuge – inklusive Risszeichnungen –, durch die Schilderung der Feste, die einst in Eckernförde gefeiert wurden, der alten Berufe, Spitznamen, Häuser, Rituale, des Aberglaubens – und sogar des damaligen Klatsches und Tratsches. Doch all das tat er keineswegs im Ton der Verzweiflung. Vielmehr sind seine Texte meist sachlich erzählt, oft mit feinem Humor durchzogen – Berichte von Dingen, die er selbst erlebt hatte, die ihm zugetragen wurden oder die er in Archiven aufgestöbert hatte.

Meine Vorgehensweise

Zunächst galt es, Ordnung ins Chaos zu bringen. Ich besorgte dicke Leitz-Ordner und begann, die größtenteils unsortierten Seiten aus den Schnellheftern zu entnehmen und in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen – zusammenzufügen, was zusammengehörte. Besonders wichtig war dies, um die zahlreichen Redundanzen zu erkennen. Kurioserweise hatte Fiete auf viele dieser Papp-Schnellhefter handschriftliche Vermerke geschrieben wie „erledigt“, „bereits abgeschrieben“ oder „kann weg“ – doch davon ließ ich mich nicht im Geringsten beeinflussen – für mich war alles wichtig!

So heftet ein Fischermeister: Statt Büroklammer Netzgarn und zwei halbe Schläge

Das Umheften und Sortieren nahm mehrere Tage in Anspruch – deutlich mehr Zeit, als ich ursprünglich eingeplant hatte. Das Abfotografieren hingegen ging schneller von der Hand als erwartet. Dafür nutzte ich eine spezielle Dokumentenscanner-App auf meinem Smartphone, die automatisch PDFs erzeugt – eine große Erleichterung. Seiten mit Zeichnungen oder anderen grafischen Inhalten habe ich nicht fotografiert, sondern mit einem Flachbettscanner erfasst. (Der Scan der Seekarte im Format A0 brachte es auf stolze 350 MB.)

So sieht eine moderne Transkriptionssoftware aus

Anschließend ließ ich sämtliche PDFs durch meine KI-gestützte Transkriptionssoftware laufen, die ich im Rahmen früherer Projekte gezielt auf Fietes Handschrift trainiert hatte. Eine besondere Herausforderung bestand darin, dass meine KI auf seine spätere, größtenteils lateinische Handschrift abgestimmt war – während ein Teil der neu zu transkribierenden Texte älter waren und in Kurrent geschrieben wurden. Das erschwerte die automatische Transkription erheblich und erforderte intensivere manuelle Nachkorrekturen. Weitere Unbilden bereitete mir natürlich Fietes unfassbare Krakelei: Hatten die zuvor transkribierten Manuskripte aus sauber beschriebenen, linierten A4-Seiten bestanden, hatte ich es hier vielmals mit kreuz und quer vollgekritzelten Kladden zu tun. Fiete hatte einfach sämtliches Papier vollgeschrieben, das er in die Hände bekam, seien es alte Rechnungen, Briefe oder Postwurfsendungen.


Die Transkription solcher Stellen war nicht gerade einfach

Ich entschied mich, die digitalisierten Dokumente in drei unterschiedlichen Formen online zu stellen:

Was auf FieteDaniel.de zu finden ist

Tja, wo soll ich bloß beginnen. Inzwischen sind 177 Texte mit insgesamt rund 350.000 Wörtern online – und ich kann jeder Leserin und jedem Leser nur ans Herz legen, die Website selbst zu besuchen und sich selbst auf einen Erkundungstrip durch die abenteuerliche Welt des alten Eckernfördes zu begeben. Alles, was ich hier tun kann, ist, einen Überblick zu präsentieren und meine persönlichen Highlights vorzustellen. Auf der linken Seite der Homepage befindet sich das Menü, in dem alle seine Texte in einer langen Spalte aufgelistet sind – ich denke, ich mache es mir leicht und gehe einfach die wichtigsten Punkte dieses Menüs von oben nach unten durch.

Ökelnamen-Generator

Den Anfang macht der Ökelnamen-Generator – er ist eine kleine technische Spielerei, die ich eingebaut habe, um der Website auch ein interaktives Element zu verleihen. Herzstück ist eine Künstliche Intelligenz, die ich mit den zahlreichen von Fiete dokumentierten Eckernförder Ökelnamen trainiert habe. Man gibt ein paar Angaben zu seiner Person ein, der Algorithmus rechnet ein paar Sekunden – und am Ende wird einem eine schmucke digitale Urkunde mit dem ermittelten Ökelnamen verliehen.

Allerdings ist das System gnädiger als das echte Leben: Wer mit seinem ersten Spitznamen nicht zufrieden ist, kann sich ganz einfach einen neuen generieren lassen. Ein Luxus, den sich manche der originalen Eckernförder Ökelnamenträger sicherlich auch gewünscht hätten – etwa Fischer Hermann Maas, Ökelname „Morslock“.

Artikel über Fiete

In diesem Bereich sind alle Artikel versammelt, die ich bislang über Fiete verfasst habe.

Listen

Hier finden sich verschiedene Aufstellungen – einige stammen von Fiete selbst, andere von mir. Von Fiete stammt eine Tabelle mit 348 Eckernförder Ökelnamen, außerdem eine Liste der sogenannten „Wadenzüge“ sowie eine Übersicht aller Eckernförder Räuchereien um das Jahr 1920.

Die übrigen Listen habe ich angelegt:

Risszeichnung von der zum Kutter umgebauten Kielquase
KI-Rekonstruktion einer großen Quase

Scans

Anschließend folgt eine Übersicht mit Scans. Hier zu finden ist:

Seite aus Fietes Wörterbuch
Am See vor dem Sturm

Die Tagebücher

In der nächsten Rubrik findet man die Tagebücher. Sie entstammen den 1.072 Seiten, die Fiete kurz vor seinem Tod der Heimatgemeinschaft übergab. Ich bezeichne diese 1.072 Seiten als „Hauptdokument“, da sie den umfangreichsten und bedeutendsten Teil seiner unterschiedlichen Textbestände bildet – eine Auswahl, die Fiete gezielt für Archivierungszwecke zusammengestellt hat. Man darf also davon ausgehen, dass die darin enthaltenen Texte zu jenen gehören, die er selbst für besonders wichtig hielt.

Die Tagebuchaufzeichnungen umfassen die Jahre 1918 bis 1924. Die Jahre 1918 und 1921 sind nahezu vollständig dokumentiert, während die übrigen nur in einzelnen Episoden überliefert sind. Um den Zugang zu erleichtern, habe ich die Tagebücher in verschiedene Kapitel gegliedert.

Die Tagebücher handeln ausschließlich von seinem Berufsleben – doch das war alles andere als eintönig! Fiete und seine Kollegen waren nicht nur den Gefahren und Unwägbarkeiten der See ausgesetzt, sondern auch den Herausforderungen, die der technische Wandel und die wirtschaftlichen Härten der 1920er-Jahre mit sich brachten. Doch mit Geschick und Einfallsreichtum wussten sie sich stets zu behaupten.

Weiteres aus dem Hauptdokument

Hier beginnt nun eine wilde Mischung von Texten, die nur noch grob chronologisch geordnet sind. Während die Tagebücher auf Hochdeutsch verfasst wurden, finden sich nun auch zahlreiche plattdeutsche Texte – darunter etliche weitere Berichte über spektakuläre Geschehnisse auf See. Hier eine kleine Auswahl:

Texte aus dem Konvolut

Hier folgen nun endlich die neuen Texte aus dem „Konvolut“, wie ich den Inhalt des eingangs erwähnten Kartons nenne. Im Ton sind sie insgesamt leichter als die Texte aus dem Hauptdokument – vielfach handelt es sich um humorvolle Anekdoten aus dem alten Eckernförde. Hier stelle ich einige persönliche Höhepunkte vor:

Umzug des Fischereivereins in den 1980ern
Die Shamrock III

Fragmente

Unter „Fragmente“ habe ich alle Seiten aus dem Konvolut platziert, die sich keinem vollständigen Text eindeutig zuordnen lassen. Besonders interessant sind dabei die Fragmente einer Geschichte, die ich Gang dör Eckernföör genannt habe. Sie liegt leider nur auszugsweise vor, muss aber einmal weit über hundert Seiten umfasst haben. Darin geht Fiete im Geiste die verschiedenen Straßen der damaligen Eckernförder Altstadt ab und erzählt alles, was ihm zu den Häusern und ihren Bewohnern einfällt. Selbstverständlich zeigte sich Fiete von den meisten Veränderungen in seiner Heimat nicht gerade begeistert:

Later keem dor een Friseur Salon rinn vun Thoms, un wie ick för een kort Tied hörn dee, hett sick dor een Sexschopp rinn makt, een Frag weer so wat denn notwendig, wat sull'n wull de ol Lüüd vun de dormale Tied dor to segg't hemm.

Das kleine Fragment Speculation handelt vom historischen Eckernförder Großschiffbau. Es sollen hier Briggs und Schoner mit bis zu 40 Mann Besatzung gebaut worden sein. Zu Fietes Zeiten war „Kajars“ der größte in Eckernförde gebaute Schiffstyp – ich habe bisher noch nicht herausgefunden, was genau das war.

Gedichte

Während Fietes sonstige Texte aus einer emotional eher ausgeglichenen Haltung heraus geschrieben sind, ist dies bei seinen Gedichten anders. Nicht wenige davon drücken auf die Tränendrüse; besonders die, in welchem er seinem Hauptgefühl Ausdruck verleiht – seiner Heimatliebe:


De Heimat

De leevste Placken op uns Eer
Büst du, uns leeve Eckernföör
In di is uns dat Leben geben
Dormit in't Hart din Naam uns schreben

So menni een in di gebor'n
Dee in de wiede Welt rinfaahr'n
Doch bi se all steiht noch dor binnen vör
An deepste Stee, din Naam, uns Eckernföör

Deshalb büst du ok vör alltosaam
De in di eenstmaal tom Leb'n sünd kaam
De leevste Placken von uns Eer
Du, uns leeve Heimat Eckernföör


Diese Verse stehen exemplarisch für die rührende Einfachheit und Sentimentalität, die die meisten seiner Gedichte auszeichnet. Doch eines seiner poetischen Werke hebt sich meiner Meinung nach deutlich davon ab: „De Utscheeter“, verfasst im Jahre 1973. Es ist – wie ich finde – das Beste, was Fiete je zu Papier gebracht hat.

„Utscheeter“ war die Bezeichnung der Eckernförder Fischer für ein plötzlich nach einer Flaute auftretendes Unwetter mit orkanartigen Böen. Das im Gedicht auftauchende Wort Keep könnte mit dem englischen „cap“ oder „whitecap“ (für „Schaumkrone“) verwandt sein – vermutlich bezeichnet es eine sich kräuselnde Stelle auf der Wasseroberfläche, wenn eine Böe darüber hinweg huscht („huddelt“).

Und nun also: „De Utscheeter“ – ein herrlich stimmungsvolles Gedicht, das sich, wie ich finde, durchaus mit Werken wie Trutz, blanke Hans messen kann – und mit dem ich diese Aufzählung abschließen möchte:


De Utscheeter

De Wulken hungen swör vun Heeven
De See leeg still, as ohne Leeven
Mol huddel een Keep sacht hin un her
Denn weer alln's ruhig, so as vörher

Doch med eenmaal kreeg'n de Wulken Gang
– De See leeg dor noch speegelblank –
Dann een Huul'n, en Fleuten un een Krach!
De Storm weer dor – as ut'n Sack!

Nu weer de See svart as de Nacht
De Natur se wies uns nu ehr Macht
De Heven luurt böös – rein dull!
As wenn he alln's vernichten wull

Hoch rull'n de Wellen an de Strand
As wull'n verslukken se dat Land
Manch Seemann de ni b'reit hett staahn
Med Schipp un Mann is ünnergaahn

Wie es weitergeht

Zu Beginn des Artikels schrieb ich ja, dass Fiete bewusst dafür sorgte, dass seine Aufzeichnungen in Streubesitz übergingen – um so die Wahrscheinlichkeit ihres Wiederauffindens zu erhöhen. Doch er tat noch mehr: Zwischen seinen Texten platzierte er immer wieder kleine Hinweise auf andere Depots seiner Hinterlassenschaften!

Ein Hinweis auf andere Fundstätten

So verweist er mehrfach auf seine Arbeiten für das „Museum Eckernförde“, auf die Artikel, die er für die Heimatgemeinschaft schrieb, sowie auf die 1.072 Seiten, die er in den 1980er-Jahren eigens für deren Archiv verfasste – jenes „Hauptdokument“, das ich bereits transkribiert hatte.

Darüber hinaus fand ich ein von Fiete selbst angelegtes, wenn auch sehr unvollständiges Register mit den Titeln seiner Texte. Dennoch vermittelt es mir eine ungefähre Vorstellung davon, wie viel mir bislang noch fehlt. Etwa ein Viertel der darin genannten Texte ist mir noch nicht bekannt, Sie lauten:

Falls also jemandem einer dieser Titel bekannt vorkommt und weiß, wo der entsprechende Text zu finden ist: bitte bei mir melden!

Was mir ebenfalls noch fehlt, sind die Originale seiner Tagebücher. Bislang liegen mir nur umfangreiche, aber eben nur auszugsweise Abschriften vor. Und wer weiß – vielleicht existieren sogar noch Tonbandaufnahmen? Die bei der Sturmflut verloren gegangenen könnten nur Kopien gewesen sein. Der Ersteller dieser Aufnahmen soll Christian Köhn vom Autohaus Köhn gewesen sein.

Erst vor wenigen Wochen stieß ich auf einen weiteren Hinweis in seinen Unterlagen: Ein Teil seiner Aufzeichnungen soll auch an das Stadtarchiv Eckernförde gelangt sein! Ich hatte diesen Vermerk schon vor Jahren gelesen, ihn aber wieder vergessen – damals hatte ich noch nicht das Ziel vor Augen, Fietes gesamtes Werk zu erfassen. Ein Besuch im Stadtarchiv brachte schließlich Gewissheit: Dort lagern tatsächlich zwei Kartons voller Manuskripte – erneut etwa tausend Seiten!

Meine Schnitzeljagd ist also noch lange nicht abgeschlossen – und ebenso wenig meine Serie an Fiete-Artikeln. Es bleibt spannend!