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==== Zum Jubiläum des erfolgreichsten Jahres der Eckernförder Fischereigeschichte ===== | ==== Zum Jubiläum des erfolgreichsten Jahres der Eckernförder Fischereigeschichte ===== |
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=== 1923 – niemals zuvor und nie wieder danach wurde in Eckernförde so viel Fisch angelandet wie in diesem Jahr. Doch wie kam es dazu? Der Eckernförder Fischer Fiete Daniel (1900-1989) erlebte es mit und hielt es in seinem Tagebuch fest. === | == 1923 – niemals zuvor und nie wieder danach wurde in Eckernförde so viel Fisch angelandet wie in diesem Jahr. Doch wie kam es dazu? Der Eckernförder Fischer Fiete Daniel (1900-1989) erlebte es mit und hielt es in seinem Tagebuch fest. == |
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=== Von Martin Hüdepohl === | == Von Martin Hüdepohl == |
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Eckernförde, Anfang der 1920er. Unsere Stadt ist einer der wichtigsten Fischereihäfen an der Ostsee. Die Förde ist mit Fischreichtum gesegnet, im Hafen dümpeln hunderte Fischerboote, aus den Schornsteinen der Räuchereien steigt dicker Qualm. Seit Urzeiten wird hier Fischerei betrieben, und in den letzten paar Hundert Jahren hat sich an den Fangmethoden kaum etwas verändert. Kleinfischer nutzen Ruderboote, um in Küstennähe Stellnetze und Reusen auszubringen. Größere Fischer sind im Sommerhalbjahr mit sogenannten „Quasen“ auf Buttfang. Quasen sind etwa zwölf Meter lange Schleppnetzboote mit Gaffelrigg, die ab 1900 auch mit Hilfsmotoren ausgestattet sind. Dank des kleinen Wohnbereichs und der Lebendfischhälterung (Bünn) können die dreiköpfigen Besatzungen mehrere Tage lang auf Fangfahrt bleiben. | Eckernförde, Anfang der 1920er. Unsere Stadt ist einer der wichtigsten Fischereihäfen an der Ostsee. Die Förde ist mit Fischreichtum gesegnet, im Hafen dümpeln hunderte Fischerboote, aus den Schornsteinen der Räuchereien steigt dicker Qualm. Seit Urzeiten wird hier Fischerei betrieben, und in den letzten paar Hundert Jahren hat sich an den Fangmethoden kaum etwas verändert. Kleinfischer nutzen Ruderboote, um in Küstennähe Stellnetze und Reusen auszubringen. Größere Fischer sind im Sommerhalbjahr mit sogenannten „Quasen“ auf Buttfang. Quasen sind etwa zwölf Meter lange Schleppnetzboote mit Gaffelrigg, die ab 1900 auch mit Hilfsmotoren ausgestattet sind. Dank des kleinen Wohnbereichs und der Lebendfischhälterung (Bünn) können die dreiköpfigen Besatzungen mehrere Tage lang auf Fangfahrt bleiben. |
Im Winter werden die Quasen stillgelegt, und man wechselt zur Zugnetzfischerei mit den „Wadengespannen“. Ein Wadengespann besteht aus zwei schlanken, offenen Booten mit Spritsegeln, die in Ufernähe ein gemeinsames Netz hufeisenförmig ausbringen und anschließend wieder einholen, in der Hoffnung, einen Schwarm Sprotten oder Heringe darin eingeschlossen zu haben. Diese Art des Fischens, die „Handwadenfischerei“ genannt wurde, wurde bei vereister Förde auch „zu Fuß“ mit Hilfe von ins Eis geschlagenen Löchern unternommen. | Im Winter werden die Quasen stillgelegt, und man wechselt zur Zugnetzfischerei mit den „Wadengespannen“. Ein Wadengespann besteht aus zwei schlanken, offenen Booten mit Spritsegeln, die in Ufernähe ein gemeinsames Netz hufeisenförmig ausbringen und anschließend wieder einholen, in der Hoffnung, einen Schwarm Sprotten oder Heringe darin eingeschlossen zu haben. Diese Art des Fischens, die „Handwadenfischerei“ genannt wurde, wurde bei vereister Förde auch „zu Fuß“ mit Hilfe von ins Eis geschlagenen Löchern unternommen. |
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| [{{ :handwadenboot_beeke_sellmer_.png?nolink |Nachbau eins Handwadenbootes im Museumshafen Probstei}}] |
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Doch die zwanziger Jahre waren ein Jahrzehnt bahnbrechender technischer Neuerungen in der Fischerei, welche diese traditionellen Fangmethoden grundlegend in Frage stellten. Die Einführung von Eismaschinen verdrängte die bisherige Praxis der Lebendfischhälterung, während Kutter die Quasen ablösten und Motoren die Segel überflüssig machten. Eine weitere revolutionäre Innovation erfuhr die Zugnetzfischerei: Die aus Amerika stammende „Ringwade“ gelangte nach Europa und fand zunächst in Skandinavien Verbreitung, bevor sie 1917 auch im Deutschen Reich Einzug hielt. | Doch die zwanziger Jahre waren ein Jahrzehnt bahnbrechender technischer Neuerungen in der Fischerei, welche diese traditionellen Fangmethoden grundlegend in Frage stellten. Die Einführung von Eismaschinen verdrängte die bisherige Praxis der Lebendfischhälterung, während Kutter die Quasen ablösten und Motoren die Segel überflüssig machten. Eine weitere revolutionäre Innovation erfuhr die Zugnetzfischerei: Die aus Amerika stammende „Ringwade“ gelangte nach Europa und fand zunächst in Skandinavien Verbreitung, bevor sie 1917 auch im Deutschen Reich Einzug hielt. |
Diese neue Fangmethode, bei der erstmals gezielt nach Fischen gesucht und das Netz nicht mehr nur blind ausgesetzt wurde, erwies sich als extrem potent und ermöglichte gewaltige Fänge. So gewaltig, dass man, um die traditionellen Handwadenfischer nicht gleich brotlos zu machen, quer durch unsere Förde eine „Ringwadengrenze“ zog, innerhalb derer der Einsatz des neuen Netztyps streng verboten war. Binnen weniger Jahre entstanden entlang der deutschen Ostseeküste unzählige Ringwaden, obwohl die Investition in diese neue Fangmethode kostspielig war: Zu einer Ringwade gehörte nicht nur ein riesiges Netz (etwa 500 Meter lang, 30 Meter hoch), sondern auch ein eigens konstruiertes Ringwadenboot mit Kajüte, sowie eine „Suchjolle“. Um diese Kosten stemmen zu können, wurden Ringwaden in der Regel genossenschaftlich erworben oder durch einen Zusammenschluss mehrerer Fischerfamilien. | Diese neue Fangmethode, bei der erstmals gezielt nach Fischen gesucht und das Netz nicht mehr nur blind ausgesetzt wurde, erwies sich als extrem potent und ermöglichte gewaltige Fänge. So gewaltig, dass man, um die traditionellen Handwadenfischer nicht gleich brotlos zu machen, quer durch unsere Förde eine „Ringwadengrenze“ zog, innerhalb derer der Einsatz des neuen Netztyps streng verboten war. Binnen weniger Jahre entstanden entlang der deutschen Ostseeküste unzählige Ringwaden, obwohl die Investition in diese neue Fangmethode kostspielig war: Zu einer Ringwade gehörte nicht nur ein riesiges Netz (etwa 500 Meter lang, 30 Meter hoch), sondern auch ein eigens konstruiertes Ringwadenboot mit Kajüte, sowie eine „Suchjolle“. Um diese Kosten stemmen zu können, wurden Ringwaden in der Regel genossenschaftlich erworben oder durch einen Zusammenschluss mehrerer Fischerfamilien. |
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{{ :fietes_ringwadenmodell.png?nolink |}} | [{{ :fietes_ringwadenmodell.png?nolink |Modell einer Ringwade mit Ringwadenboot im Eckernförder Heimatmuseum, gefertigt von Fiete Daniel}}] |
**Modell einer Ringwade mit Ringwadenboot im Eckernförder Heimatmuseum, gefertigt von Fiete Daniel** | |
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Ein typischer Fangtag mit der Ringwade verlief folgendermaßen: Eine Crew von etwa zehn Mann begab sich mit dem Ringwadenboot in das Fanggebiet und setzte dort die Suchjolle aus, ein kleines Dinghi mit einer Besatzung von zwei Mann. Einer ruderte, der andere lotete nach Schwärmen. Das „Suchlot“ war ein einfacher Draht mit Bleigewicht, den man einige Meter über Bord fierte und anschließend zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Befand sich ein Schwarm unter der Jolle, merkte der Sucher dies an Bewegungen am Draht und riss daraufhin seinen Arm in die Höhe. Dies war das Signal für die Besatzung des Ringwadenbootes, welche sich bis dahin meist in der Kajüte mit Grog und Kartenspiel die Zeit vertrieben hatte. Sofort wurde die Wade ausgesetzt, in einem großen Kreis um die Suchjolle herum. Nachdem der „Ring“ geschlossen und das ausgesetzte Netzende wieder aufgenommen wurde, schnürte man die Unterseite der Wade zusammen. Aus dem Ring wurde ein Sack, aus dem es für die Fische kein Entkommen mehr gab. Auf diese Weise konnte mit einem Zug ein kompletter Herings- oder Sprottenschwarm von über zehn Tonnen eingefangen werden. | Ein typischer Fangtag mit der Ringwade verlief folgendermaßen: Eine Crew von etwa zehn Mann begab sich mit dem Ringwadenboot in das Fanggebiet und setzte dort die Suchjolle aus, ein kleines Dinghi mit einer Besatzung von zwei Mann. Einer ruderte, der andere lotete nach Schwärmen. Das „Suchlot“ war ein einfacher Draht mit Bleigewicht, den man einige Meter über Bord fierte und anschließend zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Befand sich ein Schwarm unter der Jolle, merkte der Sucher dies an Bewegungen am Draht und riss daraufhin seinen Arm in die Höhe. Dies war das Signal für die Besatzung des Ringwadenbootes, welche sich bis dahin meist in der Kajüte mit Grog und Kartenspiel die Zeit vertrieben hatte. Sofort wurde die Wade ausgesetzt, in einem großen Kreis um die Suchjolle herum. Nachdem der „Ring“ geschlossen und das ausgesetzte Netzende wieder aufgenommen wurde, schnürte man die Unterseite der Wade zusammen. Aus dem Ring wurde ein Sack, aus dem es für die Fische kein Entkommen mehr gab. Auf diese Weise konnte mit einem Zug ein kompletter Herings- oder Sprottenschwarm von über zehn Tonnen eingefangen werden. |